Hühnerwald oder Treckerdemo? Ein Text zum 8.1.2024

unser Schlepper und ein Mobilstall im Hühnerwald

Freunde, Familienmitglieder, Kollegen und Kolleginnen – so viele von ihnen sind auf der Straße unterwegs mit ihren Schleppern, gemeinsam, mit viel Rückhalt aus der Bevölkerung, mit einem konkreten Ziel, durchorganisiert und mit dem guten Gefühl, dass man gemeinsam etwas bewirken kann. Mit Fotos und Videos wird die Stimmung festgehalten, um sie für später zu bewahren. Die WhatsApp-Gruppen brodeln, die sozialen Netzwerke laufen über mit zigfach geteilten Posts, die Medien berichten im Live-Ticker. Laut dröhnen die Treckerreifen und das Hupen über die Feldmark, als wir heute morgen zum Eiersammeln zu unseren Ställen im Hühnerwald fahren.


»Das Fass ist übergelaufen«, das ist der Spruch, den man von allen Seiten wohl am häufigsten hört. Und so fühlt es sich auch wirklich an. Die letzten Jahre waren für viele Menschen in der Landwirtschaft herausfordernder als alles bisher Dagewesene. Die Dürren der Sommer seit 2018, Corona, Kriege nah und fern, enorm gestiegene Kosten bei Löhnen, Treibstoffen und Düngemitteln, Investitionen, die in einem Jahr sinnvoll erschienen und sich im Folgejahr als Fehler herausstellten, 20-30% weniger Direktzahlungen für die Betriebe ab 2023 und Ankündigungen aus der Politik, die dann doch nicht oder ganz anders kamen. So viele unplanbare, unberechenbare Ereignisse in knapper Folge, mit denen wir als Landwirte (aber auch die gesamte Gesellschaft) klarkommen und für die wir Lösungen finden müssen, um weitermachen zu können.

Dann fiel die Ernte in diesem Jahr ins Wasser, total und im wahrsten Wortsinne. Und kurz vor Weihnachten sagt man uns dann auch noch: Leider können wir euch ab sofort nicht mehr so viel Geld für eure Arbeit bezahlen wie bisher, auch wenn ihr mehr leisten müsst als bisher und eure Kosten höher sein werden als bisher. Ja, da ist das Fass übergelaufen, wir verstehen jeden, der das genauso empfindet.

Was machen wir dann aber bei unseren Hühnern, anstatt auf dem Trecker zu sitzen und durch Lüneburg zu fahren? Das fragen wir uns selbst und haben keine einfache Antwort darauf. Zum einen hatten wir in den letzten Jahren das Glück, in den richtigen Momenten die richtigen Entscheidungen zu fällen – wie mit unseren Hühnern und ihrem Hühnerwald. Uns geht es also im Vergleich zu vielen anderen relativ gut. Zum anderen gehen wir seit Jahren den mühsamen Weg, diese Entscheidungen so transparent wie möglich zu kommunizieren: Wir reden darüber mit unseren Nachbarn, unseren Kundinnen und Kunden, wir diskutieren mit Kollegen und Politikerinnen, wir berichten auf Konferenzen, wir holen Institutionen, Arbeitskreise und Parteien zu uns, wir arbeiten mit der Wissenschaft zusammen, wir netzwerken und wir klären zum gefühlt hundertsten Mal auch gern noch den nächsten Umweltwissenschafts-Studierenden auf, dass die Kuh mehr ist als nur ein Klimakiller. Das kostet viel Kraft und wir opfern dafür viel Zeit. »Opfern«, ja, so fühlt sich das manchmal wirklich an, auch wenn es eigentlich eine Investition ist. Dieser Weg ist unser Weg, und so sehr wir mitfühlen mit denen, die da auf dem Schlepper sitzen, weil sie nicht wissen, wovon sie im nächsten Jahr ihren Diesel bezahlen sollen, so wichtig ist es für uns, auf unserem Weg zu bleiben. Vielleicht sind wir auf diesem Weg weniger sichtbar, aber auch wir gehen diesen Weg nicht alleine. »Die« Landwirtschaft ist nicht eine homogene Masse, sondern das sind viele Menschen, die versuchen, die Aufgabe, die sie von der Generation vor ihr übernommen haben, weiterzuführen. Niemand von uns will »die letzte Generation« sein. Wir alle möchten weitermachen, eine Aufgabe haben, wertgeschätzt werden, einen Beitrag leisten.

Wir haben das Glück, dass wir auf unserem Weg und durch unsere Arbeit viel Wertschätzung und Unterstützung gewonnen haben: Durch treue Kundinnen und Kunden, die sich für unsere Produkte begeistern, weil sie wissen, wie sie produziert werden. Durch langjährige Geschäftspartner, die uns faire Preise bezahlen. Durch Menschen, die unsere Ideen aus Überzeugung mittragen und mitfinanzieren, weil sie lieber Bäume auf dem Acker wachsen sehen als sich für das nächste überteuerte iPhone, für den kurzen Konsumkick, in die Schlange zu stellen.

Worauf wir noch hoffen, ist, dass unsere Kommunkationsarbeit (und die unserer ähnlich arbeitenden Kollegen) »durchdringt« nicht nur zu einzelnen Menschen, sondern durch die Gesellschaft. Die Landwirtschaft kann gemeinsam (und dabei durchaus auf unterschiedlichen Wegen) an einem neuen Ziel arbeiten. Die Aufgabe der Nachkriegsgeneration der Landwirte, die Aufgabe unserer Eltern und Großeltern, war es, dafür zu sorgen, dass niemand hier in Deutschland mehr Hunger leiden muss. Das war eine wichtige Aufgabe, die der Landwirtschaft viel Wertschätzung eingebracht hat und die einem das gute Gefühl gab, gebraucht zu werden. Heute kann die Gesellschaft der Landwirtschaft eine neue Aufgabe geben: Erhaltet für uns alle die über Jahrhunderte erschaffene, in ihrer Vielfalt gewachsene Kulturlandschaft, fördert die Biodiversität, schützt das Klima und produziert Lebensmittel für uns in höchster Qualität, die nicht nur satt machen, sondern uns Menschen gesund ernähren. Das wäre ein Ziel für die Zukunft, für das wir mit Begeisterung arbeiten können. Dafür braucht es einen echten gesellschaftlichen Konsens (»Ja zu besseren Lebensmitteln«) und klare, verlässliche politische Rahmenbedingungen, dann kann die Landwirtschaft auch ihre nächste Generationenaufgabe erfüllen. Wenn das Ziel klar ist und der Wettbewerb fair bleibt, verkraften wir auch harte Einschnitte, denn ohne Einschnitte werden wir das, was vor uns liegt, nicht überwinden. Was nicht geht, ist ein Hin und Her, das uns jede Planungssicherheit in ohnehin schon unsicheren Zeiten nimmt. Ehrlich währt am längsten, also (an die Politik): Sagt uns, dass ihr Geld braucht, weil ihr euren Haushalt falsch geplant habt, dann müssen wir halt zusehen, wie wir in Zukunft irgendwie ohne die in unserem Fall gut 5.000€ Agrardieselförderung auskommen. Und (an die Gesellschaft): Bezahlt uns fair für unsere Produkte, damit wir unabhängig werden von den staatlichen Hilfen. Dann können wir aus den höheren Einkünften auch die Klimaschutz- und Biodiversitätsmaßnahmen finanzieren, die ihr euch von uns wünscht.

Bleibt die Frage, was bleibt nach dem Ende der Aktionswoche? Ein Haufen Videos auf Facebook und das Gefühl, etwas getan, aber am Ende doch nichts erreicht zu haben? Oder regen die Proteste vielleicht alle Seiten zum Nachdenken an, erhöhen sie die Bereitschaft zum ehrlichen Austausch und machen sie deutlich, wie wichtig klare Ziele sind? Wir hoffen auf letzteres.